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Wie die Musikschule des Emslandes mit Corona-Beschränkungen umgeht

Das Orchester muss nach wie vor pausieren. Archivfoto: Sebastian von Melle


Von Klavier über Geige bis Trompete findet Instrumentalunterricht in der Musikschule des Emslandes jetzt statt, nur Chöre und Orchester pausieren nach wie vor. „Nichts wird so sein wie vor Corona“, sagt Musikschuldirektor Martin Nieswandt nach turbulenten Tagen mit Blick in die Zukunft.

Die von den Behörden angeordnete Schließung der, nach Unterrichtstunden gesehen, größten Musikschule in Niedersachsen Mitte März kam von einem Tag auf den anderen. „Es war, als ob wir vor die Wand gefahren worden sind“, erinnert sich Nieswandt. Bis dahin lief an den 162 Unterrichtsorten der Musikschule in den 19 Kommunen des Landkreises alles wie gewohnt. Dann waren auf einmal alle Veranstaltungen unbestimmte Zeit abgesagt, auch das große Sinfoniekonzert, auf das alle mit Herzblut hingearbeitet hatten.

„Nach dem ersten Schock passierte etwas ganz Tolles“, denkt der Musikschuldirektor zurück: „Innerhalb von 48 Stunden entwickelten meine Kollegen auf kreativste Weise Ideen und Konzepte, wie wir uns der Situation stellen. Alle nahmen sofort Kontakt zu ihren Schülern auf, um zu zeigen, dass es irgendwie weitergeht.“ Videokonferenzen wurden einberufen und Videos für die Schüler erstellt.


Mit Geige und internetfähigem Kabel auf dem Weg zum Unterricht: Martin Nieswandt.
Foto: Reinhard Fanslau

Das konnte eine ganze Unterrichtseinheit sein oder auch nur eine kurze Filmsequenz, zum Beispiel das „Zahnputzlied“ für die ganz Kleinen zum Mitsingen vor dem Zubettgehen. Manchmal passierte der Unterricht nur per Telefon. Ein Schüler spielte etwas vor, und der Lehrer gab seinen Kommentar dazu ab. Die Musikschule hat sich auch spontan eine eigene Musikschulcloud zugelegt. An diesem Speicherort können Videos abgelegt und heruntergeladen werden. Das Angebot wird viel genutzt.

Nicht nur die Lehrerschaft, auch die Verwaltung musste auf die Corona-Schließung reagieren, um eine schnellstmögliche Wiederöffnung garantieren zu können. „Wir haben drei Hygieneschutzkonzepte ausgearbeitet, die das Gesundheitsamt des Landkreises alle genehmigt hat.“ Einschränkungen gelten jetzt immer noch. 1,50 Meter Abstand zu halten ist schwierig. „Wenn ich Geigenunterricht gebe, kann ich nicht direkt hinter dem Schüler stehen und ihm spontan meine Hand in den Rücken legen, um seine schlechte Haltung zu korrigieren“, nennt Nieswandt ein Beispiel.

Mundschutz ist Pflicht

Mundschutz tragen ist Pflicht für alle, mit Ausnahme der Bläser natürlich. Durch ein Stück Stoff hindurch lässt sich schlecht blasen. Die speziellsten Detailfragen wurden geklärt, so zum Beispiel die, was während des Spielens bei einem Blasinstrument vorne wieder herauskommt. Das sei sogar wissenschaftlich untersucht worden, berichtet der Musikschuldirektor, mit dem Ergebnis, dass keine Ansteckungsgefahr besteht, weil eben so gut wie gar nichts herauskommt – Viren erst recht nicht. Bei den Bläsern war vor Corona ein Instrumententausch nicht erlaubt, das Verbot gilt jetzt für alle Instrumente. Nicht mal ein Geigenbogen darf ausgetauscht werden. Kurios auch die Vorschriften für Ballettschülerinnen. Diese müssen statt 1,50 Meter sogar zwei Meter Abstand halten, weil der Unterricht in Sporthallen stattfindet und somit unter die Sportstättenverordnung fällt.

Der Unterricht per Videokonferenz klappte von Anfang an gut, aber es trat das Problem der Latenz auf. Damit ist eine zeitliche Verzögerung gemeint. Gemeinschaftliches Musizieren war kaum möglich, weil die Töne ca. eine halbe Sekunde später ankamen. „Das ist für Musiker zu viel. Es darf höchstens eine Zehntelsekunde sein“, erklärt Nieswandt. Das Problem ist durch eine spezielle Software jetzt abgestellt.

Das Orchester muss nach wie vor pausieren, und gemeinsames Singen ist nicht erlaubt. „Wegen der Aerosole – das Wort kannte ich bis vor Kurzem noch gar nicht“, meint Nieswandt mit einem Schuss Ironie. Das Einhalten der bestehenden Einschränkungen ist für ihn selbstverständlich: „Wir versuchen nicht, die Grenzen auszureizen. Verantwortliches Handeln ist uns wichtig. Denn wenn die Infektionszahlen wieder steigen, dann ist es bei uns ganz schnell vorbei mit dem Präsenzunterricht.“

Nicht gewinnorientiert

Die Musikschule des Emslandes ist als Verein in öffentlicher Trägerschaft organisiert und arbeitet anders als ein privates Unternehmen nicht gewinnorientiert. „Dennoch hat uns die Corona-Krise auch wirtschaftlich schwer getroffen. Anders als private Firmen bekommen wir keine finanziellen Hilfen von Land und Bund“, gibt der Musikschuldirektor zu bedenken. Dazu kommt, dass doch einige Eltern ihre Kinder abgemeldet haben und Beiträge ausbleiben. Dennoch ist er zuversichtlich: „Wir sind froh, dass die meisten Eltern erkannt haben, dass es einen gewissen Wert hat, was wir für ihre Kinder trotz widriger Umstände auf die Beine gestellt haben.“

Das Improvisieren in den letzten Wochen hat die Lehrkräfte viel Zeit und Kraft gekostet. Es sei physisch manchmal an die Substanz gegangen, sagt Nieswandt. Die in Aussicht stehenden Sommerferien kommen als eine Art Verschnaufpause so gesehen allen sehr gelegen. In diese wird er mit dem Fazit gehen: „Wir sind ein ganzes Stück weiter, aber längst noch nicht durch.“


Quelle: Meppener Tagespost, den 12.06.2020